Max von Schenkendorf         Kinderträume

1783 – 1817

Der Himmel offenbart sich nur in Träumen,

So lang wir noch im Erdenthale wallen,

Entfesselt schweben wir durch Wolkenhallen

Und brechen Blüten von den Lebensbäumen.

 

Hörst du das Kind entzückt im Traume lallen?

Sein Geist ergeht sich in den ew’gen Räumen;

Kannst du noch thöricht zu entschlummern säumen,

Ein gleiches Los ist auch für dich gefallen.

 

Nur Kindern steht das Thor des Himmels offen,

Um sie nur spielt ein unbegrenztes Hoffen,

sie fühlen nicht die schwere Erdenkette,

 

Und brauchen keinen Heiland, der sie rette.

Geliebte, laß uns werden so wie diese,

Um Kinder blühen Unschuldsparadiese.

 

 

 

 

Max von Schenkendorf         Sehnsucht und Ruhe

1783 – 1817

Schon hier soll mich die Geisterliebe krönen?

Ich glaub’ es nicht, daß mir der Sieg gelungen,

Noch immer ist der Friede nicht errungen,

Und unaufhaltbar fließen meine Tränen. –

 

Von deiner Seraphstimme Lautentönen

In selige Bezauberung gesungen,

Geküßt von dir, von deinem Arm umschlungen,

Schweigt plötzlich jedes ungestüme Sehnen.

 

So können Blumen aus den Felsen sprießen,

So kann die Ruh’ selbst in der Sehnsucht liegen

Und Feindliches vereint zusammenfließen;

 

Wenn wir uns kindlich an die Mutter schmiegen,

Wenn wir genügsam, was sie beut, genießen,

Will sie wie Kinder uns in Träume wiegen.

 

 

 

 

Max von Schenkendorf         Kampf um Frieden

1783 – 1817

Im Kampf erringen Krieger süße Beute,

Doch du wirst ewig dich vergeblich quälen;

Hör’ auf, dir selbst es länger zu verhehlen,

Die Seelenruh’ erhascht man nicht im Streite.

 

Sie ist das Erbteil nur von wenig Seelen,

Die in der Wiege schon der Vater weihte,

Die aus dem Haufen der gemeinen Leute

Zu Priestern sich die Himmlischen erwählen.

 

Hast Du die Kraft des Priestertums verloren,

So stirb und werde wieder neu geboren.

Wag’ es, zu werden, was die Engel sind:

 

Ein gläubiges, ein unschuldvolles Kind –

Schnell kehrt dir der verscherzte Friede wieder,

Der Himmel läßt in deine Brust sich nieder.

 

 

 

 

 

Max von Schenkendorf         Dem Andenken der verklärten

1783 – 1817                                        Frau Henriette Gottschalk, geborene Hay

 

4.

 

Dem kalten Tode war nicht Macht gegeben,

Zu nahen sich der Lieblichen und Frommen;

Im tiefsten Innren war ihr früh entglommen

Ein strahlendes und wunderbares Leben.

 

Als ihre letzte Stunde nun gekommen,

sah man den Himmelsknaben niederschweben,

Um den die süßen Frühlingsträume weben,

Im höchsten Schmerz war höchste Lust verschwommen.

 

Die sel’ge Brautnacht war’s, in der zur Erde

Der Mai sich fügt mit holdem Liebesgruße.

Zur Dulderin mit freundlicher Gebärde

 

Trat er und weht’ sie an mit Blütenzweigen.

Das Leben raubt’ er ihr im ersten Kusse –

Der sel’ge Geist flog auf zum Himmelsreigen.